Geschichtliche Zusammenfassung
von Hauptmann Jürgen Peter, 1997
Am Fuße des Vogelsberges liegt das kleine Residenzstädtchen Laubach. Tradition und Brauchtum sind in dieser Stadt fest verwurzelt. Besonders in ihre Herzen eingeschlossen haben die Einwohner das Laubacher Ausschußfest, das alljährlich in der ersten Junihälfte von der Ausschußgesellschaft Solms-Laubach 1540 abgehalten wird.
Geschichte des Ausschußfestes
Das Ausschußfest kann auf eine sehr lange Tradition zurückblicken: schon aus dem Jahre 1478 ist uns bekannt, daß man in Laubach Schießübungen mit der Armbrust und auch mit Handfeuerwaffen ausübte. Die Schützengesellschaft hatte dem Grafen in Kriegszeiten Beistand zu leisten und natürlich die Stadtverteidigung zu übernehmen.
In der damaligen Zeit wurde deshalb mehrmals im Jahr die Fertigkeit der Soldaten im Umgang mit der Armbrust und der sich mehr und mehr durchsetzenden Handfeuerwaffen überprüft. Es fand dabei ein Ausschießen des besten Schützen statt.
Im Laufe der Zeit wurde aus der Schützengesellschaft ein "Bürger-Ausschuß". Er war als Kompanie formiert und in zehn Korporalschaften eingeteilt. Befehlshaber war ein sog. Land-Capitain, später als Hauptmann bezeichnet. Er wurde in freier Wahl der Bürger gewählt. Ihm zur Seite standen Stadt- oder Bürgeroffiziere.
In der Zeit, als Graf Friedrich Magnus zu Solms-Laubach als Regent der Grafschaft Solms-Laubach wie sein Halbbruder Philipp der Großmütige seine besondere Aufmerksamkeit dem Schützenwesen zuwandte, kam das Schießen mit Handfeuerwaffen in Laubach so richtig zum Durchbruch. Aus seiner Zeit stammt auch der älteste Teil des Laubacher Schützenkleinods, ein silbernes Medaillon mit der Aufschrift:
DER * BOXEN * SCHYTZEN * GESEL * SCHAFT * 1540
Das Jahr 1540 wird somit als Gründungsjahr für die Solms-Laubacher Ausschußgesellschaft angenommen.
Die jährlichen Waffenübungen auf der "Helle" (damals Exerzierplatz, später und heute noch der Festplatz) fanden nach wie vor statt. Anfangs nur ein Preisschießen des Bürger-Ausschusses, entwickelte es sich im Laufe der Zeit zu einem wahren Fest für Laubach und Umgebung und wurde im Volksmund "Der Ausschuß" genannt. Zu dem Schießen selbst stiftete der Graf für den besten Schützen einen Hammel und die Gräfin für den zweitbesten Schützen ein Kleid. Die Stadt Laubach steuerte als weitere Gaben jährlich einen Hut, ein Paar Herrenstrümpfe, ein seidenes Halstuch und zwei Kalbs- oder Ziegenfelle bei.
Mit der Mediatisierung der Grafen zu Solms-Laubach in den Hessischen Staatsverband im Jahre 1806 war auch das Ende des alten Bürgerausschusses in nahe Zukunft gerückt. Er bestand zwar noch bis zum Jahr 1813, doch dann wurde er aufgelöst, wahrscheinlich auf Befehl der Großherzoglichen Hessischen Regierung. Auch das alte Fest konnte ab 1814 wegen der allgemeinen Verschuldung und der hohen Kriegssteuern nicht mehr gefeiert werden und schien endgültig in Vergessenheit zu geraten.
Entwicklung zur heutigen Tradition
Aber die Erinnerung an das alte glanzvolle Fest blieb. Die Erzählungen der alten Leute, die es in Ihrer Jugend noch miterlebt hatten, weckten das Verlangen nach seiner Erneuerung.
Am 28. Mai 1844 beschloß man das alte Fest wieder aufleben zu lassen. Es wurde eine neue Satzung (Statuten) für die Durchführung des Ausschußfestes festgelegt, die bis heute im großen und ganzen noch ihre Gültigkeit hat. Das Ausschußfest selbst findet jährlich am zweiten Dienstag vor "Johanni" (24. Juni) statt. Diesem Dienstag, dem eigentlichen Markttag sind zwei Festtage vorgelagert.
Am Sonntag beginnt mittags gegen 14 Uhr der Kinderfestzug, der zuvor bei dem Herrn Hauptmann Aufstellung genommen hat. Er zieht von dort durch die Straßen des Residenzstädtchens, über den Schloßhof auf den mit Fahrgeschäften, Verkaufs- und Losbuden bestückten Festplatz, die "Helle". Dort angekommen, finden im Festzelt alte Kinderbelustigungen wie Eierlaufen, Sackhüpfen und Hahnenschlagen statt.
Die Laubacher 14jährigen Jungen schießen währenddessen unter gleichen Bedingungen wie die "Männer der Ausschußgesellschaft" einen ebenfalls vom Gräflichen Haus gestifteten kleinen Hammel aus.
In der Nacht von Sonntag auf Montag zieht der Musikverein in verschiedene Gruppen aufgeteilt durch die Straßen der Stadt, um den Laubacher Bürgern die sogenannten "Ständchen" darzubringen.
Der Montag, der Haupttag, beginnt durch den Weckruf der Trommler, die morgens von 6 Uhr an durch die Straßen der Stadt ziehen und das Zeichen zum Versammeln der 13 Sektionen in ihren Standlokalen geben. Die einzelnen Sektionsmitglieder treffen sich dort mit Eichenlaub geschmücktem Hut sowie einem durch Eichenlaub verzierten Spazierstock, der das Gewehr symbolisiert. Das Eichenlaub war in früheren Zeiten, als es noch keine Uniformen gab, das Erkennungszeichen der Solmser Gefolgschaften. Eine Uniform gibt es in der Ausschußgesellschaft bis zum heutigen Tag nicht.
Der Major, die Hauptführer und die Adjutanten treffen sich um 7 Uhr, gekleidet mit dunklem Anzug und weißen Handschuhen, mit Eichenlaub geschmücktem Hut sowie Schärpe und Säbel beim Hauptmann, um dort das traditionelle Frühstück einzunehmen.
Inzwischen haben sich die Gabenträger, Laubacher Kinder im Alter von fünf bis dreizehn Jahren, vor dem Haus des Hauptmanns versammelt, um die "Gaben" in Empfang zu nehmen. Die Gaben sind die Preise, die beim Schießwettbewerb ausgeschossen werden und im Festzug von den Kindern mitgetragen werden.
Die ca. 850 Mitglieder der Ausschußgesellschaft (Stand 1997) sind in 13 Sektionen eingeteilt und ziehen nachdem die Repliken der alten Stadtfahnen vom Rathaus abgeholt wurden in dem großen Festzug zunächst vom Marktplatz zum Schloßhof. Dort finden traditionell die Ansprachen des Hauptmanns und des Grafen statt, die beide nach altem Brauch mit den Hochrufen enden. Danach bewegt sich der Festzug weiter durch die Straßen der Stadt zur "Helle". Es wird gefrühstückt, hier und da erschallen Hochrufe, die an diesem Tag immer wieder zu hören sind. Anschließend beginnt auf dem nahegelegenen Schießstand der Wettstreit um den besten Schuß. Jedes Mitglied hat einen Schuß auf dem sogenannten Gabenstand und einen Schuß auf dem Hammelstand. Der Schießwettbewerb dauert bis in die späten Nachmittagsstunden. Geschossen wird auf 50-Meter-Bahnen mit Kleinkalibergewehren stehend aufgelegt.
Nachdem die Auswertung der einzelnen Schießblättchen beendet ist, werden die Gewinner bekanntgegeben. Die besten Schützen auf dem Gabenstand erhalten in der Reihenfolge des Schießergebnisses eine der vorgenannten Gaben. Der beste Schütze auf dem Hammelstand erhält wie vor mehr als 450 Jahren den für diesen Anlaß vom Gräflichen Haus gestifteten und im Festzug mitgeführten Hammel.
Im Anschluß daran zieht der Hammelschütze unter Begleitung der Musikkapelle, des Hauptmanns und der Hauptführer zum Schloßhof, wo er dem Grafen vorgestellt wird. Vom Grafen erhält der Hammelschütze zur Erinnerung an diesen großen Tag die Hammelschützenplakette angesteckt.
Von da aus geht es zu dem glücklichen Schützen nach Hause, wo der Hammel nach alter Tradition aus dem Fenster schaut und die dort versammelte Menschenmenge meistens durch ein "Mäh" begrüßt. Es folgen die Glückwünsche des Hauptmanns sowie Dankesworte des Hammelschützen, die mit dem Hochruf auf "die alte Vaterstadt Laubach, das Gräfliche Haus und die Ausschußgesellschaft" enden. Der Hammelschütze trägt im darauffolgenden Jahr während des Festzuges das "Schützenkleinod" das aus der zuvor schon erwähnten Medaille sowie einer darunter hängenden silbernen Luntenschloßbüchse und weiteren sechs Gedenkmünzen aus den Jahren 1738 bis 1770 besteht.
Der dritte Festtag, der Dienstag, ist vor allem einem reich bestückten Krämermarkt vorbehalten. Seit einigen Jahren erfreut sich auch der an diesem Tag stattfindende Frühschoppen im Festzelt großer Beliebtheit.
Der Festtag endet wie die Tage zuvor bei Musik und Tanz in den frühen Morgenstunden des darauffolgenden Tages.
Die Ausführung und Organisation dieses traditionsreichen Heimatfestes obliegt dem Vorstand der Ausschußgesellschaft, der alljährlich am Osterdienstag neu gewählt wird. Er besteht aus dem Hauptmann und 13 Hauptführern. Die Aufgaben des Vorstandes werden je nach Eignung der gewählten Männer verteilt. Dem Hauptmann stehen zu seiner persönlichen Unterstützung zwei Adjutanten nach seiner freien Wahl zur Verfügung.
Nach ihren Statuten dient die Ausschußgesellschaft Solms-Laubach 1540 dem alleinigen und ausschließlichen Zweck, das seit dem Jahre 1540 in Laubach gefeierte Ausschußfest in seiner alten Tradition als alljährlich wiederkehrendes, Alt- und Neubürger in Frohsinn und Harmonie vereinigendes Volks- und Heimatfest, zu begehen.
Mitglied der Ausschußgesellschaft kann jeder volljährige männliche Einwohner der Großgemeinde Laubach werden. Heute ist das Ausschußfest natürlich auch ein Fest, bei dem man feiert, aber vor allem ist es ein Fest der Begegnung, des Gespräches miteinander und auch des Zuhörens. Hier treffen sich Leute, die sich manchmal viele Jahre nicht gesehen haben. Hier sitzen unterschiedlichste soziale Schichten, Einheimische und Zugezogene, Deutsche und Ausländer gemeinsam im Zelt und feiern Ausschuß
Was verbindet dabei ist die Pflege des Brauchtums und der Wille zur Gemeinschaft. Graf Wilhelm sagte im Jahre 1910 in seiner Rede am Ausschußmontag: Das Ausschußfest ist nicht zu vergleichen mit alten Bauten, die unter Denkmalschutz gestellt werden, sondern der Ausschuß ist mit Liebe und Hingebung fest im Laubacher Volk eingewurzelt und wird sich erhalten bis in ferne Zeiten.
Und so kommen auch heute an diesem Wochenende Laubacher aus dem Europäischen Ausland und aus Übersee in Ihre Heimat um Freunde und Bekannte zu treffen. Man braucht dazu keine Verabredung, man ist einfach da und weiß, daß die anderen auch da sind. Das Ausschußfest war und ist ein Fest der Kameradschaft und der Freundschaft. Und das macht es so wertvoll.